„Stadt (Land Fluss)“ | Daniel Kötter & Hannes Seidl

 

„Stadt (Land Fluss)“ | Daniel Kötter & Hannes Seidl
English | Deutsch
Gruen 199 | Audio CD (+ Digital) | Digital > [Bestellung]
Rezensionen

 

Ein Hörstück über den Klang der Großstadt. Bulldozer planieren die Brache, Wohnviertel werden eingezäunt, Stromkabel durchziehen das Bauland, eine Menschenmenge besetzt den Mittelstreifen. „Stadt (Land Fluss)“ macht die radikal vernetzte Stadt hörbar und die Auswirkungen ihrer permanenten Veränderung sinnlich erfahrbar. Welche soziale Dimension hat die Klanglichkeit einer Stadt? Wie klingt die Stadt, wie könnte sie klingen? Wer hat das Recht, den Stadtraum zu gestalten und seine Grenzen zu definieren? Stadt [Land Fluss] ist auf der Grundlage des gleichnamigen Musiktheaterstücks entstanden.

 

Komposition / Produktion: Daniel Kötter / Hannes Seidl
Electromagnetische Klänge: Christina Kubisch Musik: Sebastian Berweck, Martin Lorenz, Andrea Neumann
Text: Daniel Kötter / Hannes Seidl nach Zitaten von David Harvey, Kathrin Wildner, Thorsten Fausch und anderen
Photos: Nara Silva das Virgens Merlitz Graphik Design: Nafiseh Fathollahzadeh

 

Exzerpte:
MP3
MP3
MP3

 

1 Track (41’58’‘)
CD (500 copies)

 

 


 

Script
01’00’’
… It always seemed to me that we should pay much more attention to the question of who produces and reproduces urban life…

 


 

02’43’’
…Die Perspektive war schon immer so Mischnutzung, Kleinteiligkeit – äh Eigentum, Genossenschaft …
… Hafencity Frage ist, dass sie im Prinzip ein Tauschgeschäft ist, und zwar, dass die Hafencity ausgeschrieben wurde als Immobilienspekulation, um den Containerhafen zu finanzieren. Typisch Hamburg, dass man eben Stadtplanung macht, also dass sozusagen das eine Stück für das andere verkauft wird. Und das war eben …
… also man muss immer verstehen: Die Identität dieser Stadt ist der Handel. Und das Kaufmannsdasein. Und das hat immer was mit Strukturen zu tun. Es ist so, von der Grund DNA dieser Stadt ist das der Kernpunkt. Ich glaube es ist ja immer eine ganz wichtige Fragestellung, an welcher Stelle auch die Stadt vor welcher Herausforderung steht. Weil, sie können ja auch nicht jede Stadt eins zu eins übertragen, die Herausforderungen in Städten sind komplex und sehr unterschiedlich …
… And it always seemed to me that we should pay much more attention to the question of, who produces and reproduces urban life. And if you change the idea of production away from the production of widgets and the factory, the production of automobiles, the production of coal or something like that to the question of: Who produces the city? Who reproduces the city? Who produces spatial organisation? Then you start to get a very different definition of who is a proletariat and what that proletariat is about. And to me of course, having done a great deal of work…

 


 

04’45’’
…Das ist nämlich die Tatsache, dass die Authentizität einer Stadt erlebbar und greifbar sein muss und zwar über jegliche Form von Kommunikation, aber auch von Produktentwicklung. Also das Überstülpen von Ideen, wie zum Beispiel einer Hafencity über eine Stadt, das war, als die Hafencity begann, vor zig Jahren, sicherlich noch möglich. Heutzutage würde ich behaupten hat sich das komplett gedreht, heutzutage gibt es für so eine Art von Denkweise kaum mehr Akzeptanz. Und das merkt man, das man halt aufpassen muss, wenn man dann nachher in der Planung ist, und in der Realisierung…

 


 

06’25’’
… Man könnte jetzt so ne ganze Linie fahren mit was heisst das Revitalisierung von Hafengebieten, dass das auf einmal zu so nem Trend wurde, weil das wohnen am Hafen war ja Jahrhunderte – oder – das ganze 20. Jahrhundert nicht besonders attraktiv weil: stinkend, dreckig, laut möchte niemand wohnen, im Hafen. Und jetzt plötzlich mit Baltimore und Boston und Buenos Aires und überall auf der Welt sozusagen wie so ein Leitmotiv sich das durch die Stadtentwicklung zieht, dass das die most attractive Orte in der Stadt werden …
… That seemed to me very important. But when you took that and you started to look at the whole history of urban based struggles. you see a whole series of urban based revolts, revolutions, rebellions, in which the Paris commune was just one. And all of them had I think a certain significance historically in terms of what happened …
… hochpreisig sein muss, der Wohnraum. Also dass es nicht darum ging, eine alternative, neue, sozialverträgliche Stadtentwicklung zu machen, sondern, es musste möglichst viel Geld eingespielt werden, damit man diesen Hafen finanzieren kann. Und das sieht man auch in diesen ersten Abschnitten, dass zumindest die ersten Abschnitte dementsprechend Luxuswohnungen sind. Ich glaub so 2000 fing es an …

 


 

09’34’’
… The qualities of the cities play a very important role in exactly how that revolt unfolds. I mean one of the big stories about Haussmann in Paris was that he rebuild the Boulevards to try to curb the prospect of another revolution like what happened in 1848. He was noticeably unsuccessful in that. But the redesign of many American cities …
… Es war sozusagen ein nicht-städtischer Raum, den man ganz neu bespielen konnte. Es gab ganz viele Maßnamen ausgehend von dem Bedürfnis der Hafencity GmbH …
…was auch eine seltsame Konstellation ist für “Stadt”, weil dann die Frage ist: Was ist öffentlicher Raum, gibt es den eigentlich, gibt es den nicht? Alle Plätze gehören eben nicht der Stadt, sondern der Hafencity GmbH. Das ist so ein bisschen undurchsichtig. Man denkt natürlich, das sind alles ganz normale städtische Straßen, sind es dann aber im Endeffekt nicht, weil es ein anderes Hausrecht womöglich gibt. Wenn man hier demonstrieren will fragt man nicht die Polizei oder die Stadt Hamburg, Du musst die Hafencity GmbH fragen. Und natürlich ist hier auch städtische Müllabfuhr, es ist keine gated Community die Privatbesitz ist, und wo alle Rechte außer Kraft treten, aber es ist so ähnlich wie bei Bahnhöfen, so Architektur …
…There’s a sense that the urban has to be controlled – and urban control becomes terribly important on that side – but also that the urban can be used by organising and mobilising neighbourhoods around kind of collective forms of struggle. And then it seems to me that went back and looked at the most successful histories of factory based struggles the best ones nearly always worked because there was very strong mobilisations in the surrounding communities and it is very impressive in Argentina …

 


 

13’02’’
… und auf der anderen Seite ging einher die Perspektive dessen: Hamburg muss sich qualitativ vermarkten. Und da wurde ein Bild geschaffen, was im Endeffekt sagt: Hamburg muss die Zukunft für sich selber gestalten. Und die Aufgabe vom Stadtmarketing war dann zu gucken: welche Geschichten sind glaubwürdig an diese Botschaften – sozusagen, wie können wir diese Botschaften erfüllen. Wie schaffe ich es, die verschiedenen Nutzungsnotwendigkeiten, die ich für einen Stadtteil tatsächlich habe auch planerisch mit zu berücksichtigen. Das ist glaube ich völlig normal wenn man über so ein großes Areal nachdenkt. Ich hab eine gewisse Art von Nahversorgung, die brauche ich einfach. Wenn ich hier Leute leben haben will, brauche ich auch Nahversorgung. Das hat alles so funktioniert …
… wir natürlich Stadt auch wachsen muss und jede Stadt verändert sich und braucht Zeit. Am Anfang gabs hier nichts, man konnte auch keinen Kaffee trinken und kein gar nichts. Jetzt gibt es drei Ketten, in denen man Kaffee trinken kann. Oder auch so Rhythmen, wann ist es hier voll, diese Fahrradständer, diese Leihfahrräder, die Nachts alle leer sind und morgens um acht sind die alle total voll. Abends ist hier nichts los, ist total tot. Also, Tourismus ist schonmal eins der wichtigsten Elemente von Stadt, also als Einkommensquelle…

 


 

15’05’’
… or – today – far more likely to be the credit institutions and the banks and the financiers steal it back. Capital doesn’t care where it realises the surplus value. does it realise it in the workplace or does it realise it in the living space. And increasingly we have an economy of dispossession which is working in the living space which is compensating for the fact that they are not managing to make to much in the way of extracting surplus value out of the workspaces. So all of this suggests to me that we should be really thinking seriously about these underlying unities and thinking about the organisational forms …
… und die nur so: Hach, wir haben uns diese Wohnung angeguckt und wir ziehen hier ein und ich freu mich schon so, und die waren so enthusiastisch, weil sie sich gerade so einen Showroom angeguckt haben und dass sie endlich hierhin ziehen, wo sie sich’s immer gewünscht haben, und tauschen sich darüber aus, und ich dachte: das gibt es überhaupt nicht. Wieso möchte man hierhin ziehen? Naja, man wollte immer schon am Wasser wohnen und im Hafen, und das wird doch jetzt hier gut, und wohin soll man sonst – und das ist eine attraktive Wohngegend auch für junge Familien …
… Things like Hanseatic League. Well – imagine – if we had a league of socialist cities. What that would look like. Wonderful idea, you know, wonderful image. But we never really think in those terms. And I’m kind of saying that we should be thinking and imagining in those terms and working towards the possibility that this is a way to go. The other thing about organising a whole city is, it moves us up a notch in the scale problem. We have a lot of organisational forms right now that look very good from the standpoint of organising very small scale units …
… sich mit den Herausforderungen der Zukunft auseinander setzt, also: wie will ich eigentlich in Zukunft leben. Diese Geschichte kann man in der Hafencity – also im Hamburg in Gänze, und speziell mit gewissen Facetten der Hafencity – erzählen. Es gibt Veranstaltungen, die können hier einfach nicht stattfinden, weil sie einfach nicht die Identität, den Anspruch, die Qualität dieser Hafencity verkörpern. Weil die Positionierung einfach eine wertige, klassische Moderne Art und Weise ist und da passt vielleicht ein Auto nicht zwingend rein. Wir haben am Anfang zum Beispiel sehr sehr viel Wert gelegt darauf, dass wir hier Menschen …
… wer baut denn diese Stadt eigentlich?Wer baut denn hier die ganze Zeit das? Wer sind die denn? Wo wohnen die? Zu 90% kommen die von Polen und die sind hier für ein paar Monate. Das ist halt temporär eine andere Stadt. Wo kriegen denn die ihr Bier her? Das ist eine andere Art von temporären Städten sind, die passieren, und die ja vielleicht auch gar nicht so anders sind als eine Stadt voller Erasmus-Studierender, die auch für ein halbes Jahr da sind …
… to build a socialist city on the ruins of a capitalist urbanisation process which has been highly destructive. Highly destructive of social relations, highly destructive environmentally, highly destructive in terms of the possibility of having a genuinely political kind of life. Highly destructive of the urban commons, highly destructive of many of the institutional forms that ons existed to give some sort of coherence …

 


 

19’21’’
…a whole city is, it moves us up a notch in the scale problem …
… Räume zu verlassen, zu öffnen. Nicht sofort den fiskalischen Effekt sehen, sondern tatsächlich auch zu verstehen, dass Rauhes sich entwickeln muss durch Freiheit und dadurch ein Wert entsteht der vielleicht auch gar nicht monetarisierbar Mistaber faktisch zur Identität beiträgt. Und wenn man sich jetzt die Hafencity nur alleine anguckt, ist es natürlich so: man kann auf dem Reißbrett das entwickeln. Jetzt ist aus meinem Kenntnisstand es nirgendwo so gewesen …
… dunkle Ecken hat oder irgendwas Geheimnisvoll ist, oder dass man nicht genau weiß, was passiert oder dass sehr viel Informalität ist, dann ist das natürlich schwierig zu planen. Weil, das widerspricht sich ja auch. Also eine Unkontrolliertheit oder eine Informalität zu planen ist eben schwierig. Planning the unplanned. Wie geht das? Oder wie kann man diesen Platz lassen, dass etwas entstehen kann, wo man nicht genau weiß was passiert. Ganz Neukölln ist aus dem Boden gestampft worden. Vor hundert Jahren. Oder vor nicht mal ganz hundert Jahren. Da gabs nichts und alles sieht gleich aus und alles sind fünf Meter breite Bürgersteige oder Gehwege – und da ist dann ja doch was passiert. Also ist die Frage der Zeit, ist das eine Frage? Das ist zum Beispiel so ein Zeichen, wenn man Stadt auch längerfristig planen will …
… so we really got to start thinking this time about alternatives right now. This strikes me as a great idea. You’re talking about workers that include the domestic workers that includes the taxi drivers that includes all of those workers who actually play a very significant role in supporting urban life. Foundational. And yet they can’t be organised in traditional unions because you know there is no factory gate about outside …
… für Weitere die dahin ziehen wollen, das ist Aufgabe von Stadtentwicklung. Und man muss natürlich irgendwie schauen dass man wenn es geht auch das Produkt weiter entwickelt. Wir wollen qualitativ wachsen, haben aber in dem Zusammenhang viel zu wenig Wohnungen gebaut. Was ist das Ergebnis? Ich ziehe Menschen an, weniger Wohnraum, Mieten steigen, die Leute können sich das nicht mehr leisten. Sozialer Unfrieden. Das geht natürlich nicht. Entweder ich sage, ich hab ne Wachstumsstrategie, dann muss ich aber dahinter auch die entsprechende Entwicklung der Infrastruktur schaffen. Stichwort Wohnbebauung, Stichwort Kita, Stichwort Schulen, und so weiter und so fort. Wenn ich das aber nicht kann – fiskalisch nicht kann, warum auch immer nicht kann, aus welchen Gründen auch sonst – dann kann ich natürlich auch nicht nach außen treten und sagen, wir wollen wachsen. Und da haben sie völlig Recht und deshalb auch da, jede Stadt muss man sich sehr genau angucken, und muss sagen: muss ich vielleicht mehr in die Qualität gehen also im Sinne dessen der Entwicklung des Standortes für die dort Lebenden erstmal. Um dann vielleicht in fünf oder zehn Jahren wieder den nächsten Schritt zu gehen, nochmal wachsen zu können …

 


 

22’28’’
… was hiesse das denn dann? Also jetzt nicht unbedingt die grünere, weil das gibts ja auch schon, die Konkurrenz um die grünste Stadt oder so was. Hm – Stadt – das Urbane. Also das könnte man wieder mit so einer Frage: Ist das jetzt so eine Gegenüberstellung Stadt – Land? ich glaube, damit kommen wir überhaupt nicht mehr weiter. Wo fängt denn Stadt an und wo hört Stadt auf? Hört das an den administrativen Grenzen auf? Was meint das denn? Man kommt auch nicht mit Dichte und Heterogenität weiter, weil: ist Rotenburg ob der Tauber jetzt ne Stadt oder n Dorf? Also ich glaube man kommt mit diesen Unterteilungen, wieviele Menschen wie in Städten wohnen und was das eigentlich sein soll und das, was wir alles unter Stadt verstehen eigentlich schon so unterschiedlich …

 


 

23’44’’
… es gibt eigentlich gar keinen gemeinsamen Nenner. Und trotzdem tun wir so als hätten wir so ne Vorstellung von: was das wäre. Und dass das sich irgendwie unterscheidet von – was denn? – der Lüneburger Heide? Meint das eigentlich Lebensformen? Miteinander Umgehen? meint das was von Fremdheit? Anonymität? Von Antagonismus den es da vielleicht mehr gibt? Aber auch das. Gibt’s das an einem Ort mehr als an einem anderen? Vielleicht ist es ne Art von Lebensweise, ne Art von Ökonomie vielleicht auch, ist es ne Art von: miteinander-Umgehen, und dass sich über verschiedene Umwelten – könnte man mal sagen – hinwegzieht. Oder auch umgekehrt, dieses ganze Aufs-Land-Geziehe, Landlust oder so, die Städter ziehen ja aufs Land die ja da die ganze Zeit die Stadt ja auch mitnehmen …
… you can act and do things which will potentially be disruptive to the flows of capital and transform if you like the metabolic relations of the city. Now if you take that part of course you gonna hit police repression and you gonna hit police riot but then a police riot doesn’t necessarily clear a city either. It can also close it down. So, there’s a lot of power which resides it seems to me in thinking about the urban as a place to organise and as a place to come back together and I think you’re dead right about for example – my impression is that there is quite a lot of …

 


 

Sound Art Series by Gruenrekorder
Germany / 2020 / Gruen 199 / LC 09488 / GEMA

 


 

Rezensionen

 

Martin Hufner | HörBar – neue musikzeitung
A Radio-Play, altdeutsch, ein Hörspiel. Wie ein kluger Radioautor in den 60er Jahren bereits bemerkte, ein doppelter Imperativ als Kompositum. Hör‘! plus Spiel‘! Kann sein, dass man sich bewusst für die englische Form entschieden hat, das mehr in den Theaterbereich lugt – und das, obwohl das Theater hier gerade als Performance der Klänge und Worte zusammentrifft. Spielen wir also das Spiel?

 

Davon zuerst das Spiel: Stadt Land Fluss. Aber keine Bange, es gibt hier nicht ein eitles Wissensquiz in neuen Klängen. Sondern, basierend auf den Musik-Theaterstücken, die Hannes Seidl mit Daniel Kötter in den letzten Jahren erschufen, eine Radioreduktion – oder, warum Reduktion? – Neusubstanziierung. Siehe auch die Anmerkungen von Hans-Peter Graf unter dem Titel „Hören mit dieser Technik ist ein gehendes Hören – Stadt (Land Fluss) von Daniel Kötter und Hannes Seidl in Berlin“ in der nmz.

 

Man mache es sich nicht zu kompliziert, es handelt sich am Ende um ein wunderbar duftendes Tonwerk auf einer Klangwolke mit feingestrickter akustischer Grundsubstanz. Da hinein fallen erkennbare O-Töne und Fieldrecordings. Es geht um Kultur.

 

Das ist klanglich wunderbar knusprig und ästhetisch latent politisch (Stadt-Kultur und Gesellschaft). Letzteres aber nicht zu sehr. Die Offenheit der ästhetischen Erfahrung bleibt die ganze Zeit erhalten und trotzdem lässt es sich gut munkeln dabei. Für mich eher eine Sache der Kontemplation.
Das alles ist großartig verpackt in Cellophanpapier mit CD auf Pappe und Heftchen auf der Rückseite, gesichert durch einen Gummiring. Radio, Hand, knisterndes Klanggetüftel. Und das alles vom Sofa aus, oder dem Schreibtisch, oder unterwegs.
link

 

Martin P | Musique Machine
Here’s a rather odd package from Gruenrekorder, which consists of a printed piece of cardboard with a CD attached to the reverse, and a booklet held on with a rubber band – it’s unclear if this is conceptual or just pragmatic and somewhat ugly. The CD contains one long 42-minute track, ‘Stadt [Land Fluss],’ based on the music theatre piece of the same name by Daniel Kötter and Hannes Seidl, whilst the booklet compiles text from the piece and photographs from a performance of it.

 

‘Stadt [Land Fluss]’ explores issues of urban space, urban planning, architectural design, and the politics of the urban. The 42-minute track is an odd beast, equal parts engaging and, frankly, less-engaging. To summarise crudely, the piece is dominated by dark drones and enigmatic micro-sounds, and pounding electroacoustic sounds and raw field recordings; there are all manner of electronic noises, the scraping of guitars, aeroplanes flying overhead, rhythmic techno-esque sections, primitive whines, and obscure tones. These are deployed across a broad, wandering landscape which is overwhelmingly murky, ominous, and low key. The central element that might be somewhat decisive in how you receive ‘Stadt [Land Fluss]’ is the use of speech samples, which illustrate and examine the themes of the release. These are scattered, if near-constant, across the 42 minutes, and transcribed in the accompanying booklet.

 

Shorn of the booklet, ‘Stadt [Land Fluss]’ is a pleasant, if cryptic work which does indeed sound like a radio play – simply due to the combination of voices and raw textural noises. There are moments where it sags or stalls a little, and I found it worked well as background ambience – which I suspect is not the intention of Kötter and Seidl. Whilst it’s not remotely Dark Ambient, it does approach those atmospheres. However, the content of the speech samples, and the accompanying booklet, raise the spectre that this all ‘means something’ and something important – and indeed it does; however, the CD alone doesn’t, for me at least, convincingly elaborate on the urban themes of the release – and the transcription in the booklet doesn’t reference the authors quoted, nor point to further reading. So the polemical and ideological aspects of the project don’t fully hit home, but it does begin the mind thinking on an increasingly urgent area of modern life.
link

 

Gerardo Scheige | MusikTexte 168
Das Morgen im Heute
Zum Hörspiel „Stadt [Land Fluss]“ von Daniel Kötter und Hannes Seidl

 

Ist unser Planet bereits vollständig kartographiert? Unzählige im Weltall kreisende GPS-Satelliten, die jeden Millimeter der Erde abgemessen haben dürften, drängen uns förmlich ein entschiedenes Ja auf. Dennoch: Wäre die Welt ein Gemälde, stünde die Sichtbarkeit aller Farbtupfer nicht zwingend für das Erkennen und Begreifen ihrer Zusammenhänge. Genauso verhält es sich im Kleinen mit der (Groß-)Stadt, diesem paradigmatischen modernen Mikrokosmos. Gebäude, Straßen, Parks, Kanalisationssysteme, Lichtsignalanlagen stellen eine visuelle und haptische Ordnung her, die ein schier endloser, aus Stimmen, Hupen und Sirenen geknüpfter Geräuschteppich ergänzt, hinterfragt und bisweilen wieder aufhebt. Und mittendrin: das Individuum.

 

„ … It always seemed to me that we should pay much more attention to the question of who produces and reproduces urban life…“: Nach einer Minute mit elektroakustischen Klängen, rufenden Kindern und einem vorbeirauschenden Flugzeug spricht eine Männerstimme über die Produktion und Reproduktion des urbanen Lebens. Wer zeigt sich dafür verantwortlich? Und wie? So beginnt das 2020 realisierte Hörspiel „Stadt [Land Fluss]“ von Daniel Kötter und Hannes Seidl nach dem gleichnamigen, abendfüllenden Musiktheaterstück von 2017. Im Werkkommentar zu letzterem fragt der Komponist Seidl konkret nach den akustischen Eigenschaften einer Stadt als gesellschaft­lichem Raum: „In STADT (LAND FLUSS) spüren wir der sozialen Dimension der Klanglichkeit einer Stadt nach, die noch immer von Stadtplanern und Architekten vernachlässigt wird. Wie klingt die Stadt, wie könnte sie klingen? Wer hat das Recht, den Stadtraum zu gestalten und seine Grenzen zu definieren?“ Der erste Teil einer Trilogie – es folgten „Land [Stadt Fluss]“ (2018) und „Fluss [Stadt Land]“ (2019) – nimmt unterschiedliche Perspektiven ein und durchschreitet buchstäblich verschiedene Räu­me, um „die radikal vernetzte Stadt hörbar und die Auswirkungen ihrer permanenten Veränderung sinnlich erfahrbar“ zu machen. Die Bühne wird begehbar, diegetische Räume und deren Grenzen werden ausschließlich durch Trennwände angedeutet, während sich das ,wahre‘ urbane Leben draußen abzuspielen scheint. Eindrücke davon erhalten die Zuschauenden lediglich per Smartphone-Videos, so dass der stets im Wandel begriffene Organismus Stadt sich als imaginäres Gebilde entpuppt; ein Umstand, der in der Hörspielfassung besonders zum Tragen kommt.

 

Hier knistert es. Dem pausenlosen Rauschen und Knacken wohnt eine ungeduldige, auf den nächsten Augenblick lauernde Stimmung inne, in der sich Zukunft und Veränderung manifestieren. Für (An-)Spannung sorgen vorrangig die Klänge elektromagnetischer Felder, deren sonst unhörbare Schwingungen Christina Kubisch mittels Induktionsspulenkopfhörer hörbar macht. Im übertragenen Sinne wird das Aufdecken vorhandener, aber nicht vernehmbarer Klänge zu einer Handlungsmaxime: Im Heute liegt bereits das Morgen verborgen, den Zukunftsschlüssel haben wir gegenwärtig in der Hand. Und die Stadt? „Bulldozer planieren die Wüste, Wohnviertel werden eingezäunt, Strom durchzieht das Informelle, eine Menschenmenge besetzt den Mittelstreifen“, heißt es im Werkkommentar weiter. Wie sang die Band „Fehlfarben“ vor vierzig Jahren? „Keine Atempause. Geschichte wird gemacht. Es geht voran.“ Dass Einzelne bei aller Zielstrebigkeit auf der Strecke bleiben beziehungsweise aus der Spur geraten, findet in „Stadt [Land Fluss]“ eine musikalische Entsprechung, wenn Sebastian Berweck die Nadel seines Plattenspielers kleinschrittig über kreisende Rillen flanieren lässt. Gewissermaßen als Nebenprodukt entstehen dabei – zusammen mit den akustischen Beiträgen von Martin Lorenz und Andrea Neumann – flirrende Klangbilder, die der Idee von Soundscape bewusst widersprechen. Mit konkreten Objekten generieren Musikerin und Musiker wiederum eine abstrakte Klangwelt.

 

Und die gesprochenen Passagen? Sie erzählen von urbanen Problemen und Herausforderungen, etwa in der Hambur­ger HafenCity rund um die Elbphilharmonie. Das von Hannes Seidl und Filmemacher/Theaterregisseur Daniel Kötter nach Zitaten unterschiedlicher Provenienz erarbeitete, mitabgedruckte Skript fragt nach Chancen und Entwicklungen einer modernen, klimaneutralen, gerechten Stadt. Vieles scheint möglich. Alles bleibt offen – worauf die durchdachte, nachhaltige Aufmachung der beim Frankfurter Label Gruenrekorder veröffentlichte Compact Disc bereits hinweist: Undefinierte, voneinander nicht abgegrenzte, nur rudimentär kartographierte Räume künden von Freiheit. Was zunächst nach übertriebenem Pathos klingt, ist jedoch Programm. Alle können, dürfen, sollen mitdiskutieren, mitplanen, mitarbeiten. Es müssen Entscheidungen getroffen werden. Und genau darin liegen Vor- und Nachteil der Hörspielfassung gegenüber dem Musiktheater „Stadt [Land Fluss]“. Lässt letzteres durch seine interaktive Faktur noch eine Vielzahl an Versionen zu, zieht erstere als festgelegter Parcours tönende Mauern hoch, baut akustische Straßen und Parkanlagen, denkt klanglich über Mobilität nach. Die Entscheidung für eine Stadt ist notwendig – in einem Traumschloss lässt sich nämlich schlecht überwintern –, gibt aber zugleich andere Optionen preis. So könnte es also sein. Oder doch ganz anders?

 

Eine konstant anschwellende Spannung, die sich der oben erwähnten Klang­erzeu­gung verdankt, drängt einerseits unaufhörlich nach vorne, während ihre kontinuierliche Wandlung andererseits für ein kontemplatives Moment sorgt. Zwischen Minute achtzehn und neunzehn findet eine ebenso geradlinige wie richtungslose klangliche Verdichtung statt, die sich im gesprochenen Text spiegelt: „Eine Unkontrolliertheit oder eine Informalität zu planen, ist eben schwierig. Planning the unplanned. Wie geht das?“, heißt es aus dem Off. Diese vordergründig mittels Sprache artikulierte Planbarkeit weicht allmählich einer um sich greifenden Klanglandschaft, die jeden Gedanken zu überwuchern scheint. In den letzten vierzehn Minuten dominieren Rauschen, Surren und Flirren – stoisch und doch voller Überraschungen. Die von Seidl geforderte soziale Dimension von Klanglichkeit gewinnt schließlich die Oberhand. Mit diesem konsequenten und überzeugenden Kunstgriff wird das gesprochene Wort ,denkende‘ Musik: „So, there’s a lot of power which resides it seems to me in thinking about the urban as a place to organise and as a place to come back together […].“ Gemeinsam eine Stadt erbauen. Für alle. Neben Ideen, Mörtel und Strom ist ein weiterer Aspekt entscheidend: zuhören. „Stadt [Land Fluss]“ redet nicht nur darüber, sondern macht es direkt vor.
link

 

textura
[…] Adventurous too is Stadt (Land Fluss) by media artist Daniel Kötter and composer Hannes Seidl. Pitched as a “radio play on the sound of the city,” the single-track release blends music (Sebastian Berweck, Martin Lorenz, Andrea Neumann) and electromagnetic sounds (Christina Kubisch) with text Kötter and Seidl developed using quoted material by David Harvey, Kathrin Wildner, Thorsten Fausch, and others. Presentation is again striking, with the CD attached to a cardboard base tucked inside a sixteen-page booklet showing the speakers‘ words plus photos of the piece being performed and attendees listening to the material on headphones.

 

During the forty-two-minute presentation, multiple speakers pontificate on urban matters and proposed modifications to the city structure, the work amounting to a town council session about the form future living might take. In combining elements as it does, Stadt (Land Fluss) could be described as a sound collage; unlike some works of that kind, however, Kötter and Seidl’s eschews abrupt collisions for a smooth flow, with electronics, environmental elements, planes, and voices arranged into a fluid, ever-mutating flow. English and German speakers appear, sometimes overlapping, with the sound design never so dominant it obscures the clarity of their words.

 

Issues of trade, tourism, industrial development, financing, public spaces, policing, urban control, socialism, and identity arise as historical cases are referenced to strengthen positions (Haussmann in Paris and mobilizations in Argentina as examples). Details accumulate to form a dense stream of electronic and real-world sounds, the texts less converging into shared viewpoints but instead accentuating the vast number of perspectives that emerge when such issues are broached—more questions than answers, in other words. Perhaps that’s one reason why the sound design seems to grow denser as the piece progresses, with the buzzing mix perhaps intimating that positions lose ground when they multiply so abundantly. As the work’s end approaches, the speakers tellingly recede from view and the city as a bustling, sprawling organism takes over, almost as if it’s got a mind of its own.

 

Are Circles and Cycles and Stadt (Land Fluss) musical works? Not in any conventional sense, yet they are music, albeit strange music, of a particular kind—they’re Gruenrekorder projects after all, and one would be naive to expect anything but something unusual from this always compelling label.
link

 

Rigobert Dittmann | Bad Alchemy Magazin (109)
Allein hat der Filme- & Musiktheatermacher DANIEL KÖTTER das Mittelmeer KATALOisiert (2013), für ‚Hashti Tehran‘, ‚Desert View‘ & ‚Rift Finfinnee‘ (2017-20) hat er die Kamera auf Teheran, Cairo und Addis Abeba gerichtet. Zusammen mit dem Komponisten HANNES SEIDL realisierte er den Multi-Channel-Triptychon ‚Arbeit und Freizeit‘ (2009-11) und die musiktheatralische Trilogie ‚Falsche Arbeit, Falsche Freizeit‘, dessen dritter Part Stadt [Land Fluss] (Gruen 199 w/Booklet) nun mit dem Akzent auf Stadt als Hörspiel erklingt. Unter Einschluss von Sounds von Christina Kubisch und Musiken von Sebastian Berweck, Martin Lorenz und Andrea Neumann, zu eigenen Texten und Zitaten des neomarxistischen Humangeographen & Sozialtheoretikers David Harvey. Am Beispiel der Hafencity Hamburg wird nach der DNA einer Stadt gefragt: Who produces…, who reproduces the city? Die zahlungskräftige HafenCity-Klientel? Elphi-Touristen? Stadtentwicklung als Kopfgeburt am Reißbrett und auf dem Immobilienmarkt erweist sich als highly destructive für das Wesen von Urbanität. Wobei mir der in der Diagnose recht allgemeine und hinsichlich von Gegenvorschlägen vage und abstrake Text keine Alternativen aufsteckt. Das Ungeplante zu planen, sei nun mal schwierig. Hohe Mieten, fehlende Infrastrukturen und der Verdrängungswettbewerb stressen die Kommunität. Gerade die Systemrelevantesten können sich die Stadt nicht mehr leisten, und die draußen auf dem Land murren eh, dass Stadtluft nur die Eliten frei macht. Die Klangebene liefert sanfte Drones, perkussiv klackende oder flatternde Akzente, rauschende Düsenmaschinen, ferne Kinderstimmen, monotone oder knattrige Electronica. Dazu kommt, vordergründig, der (englische) Booklettext als locker plaudernder Vortrag in deutsch, durchsetzt mit O-Ton von Freund Harvey. Die Sätze verdunsten ins Diffuse eines dröhnenden, vom Geschrei der spielenden Kinder und knattrigen Pixeln durchsetzen Ambientes. Viele Pünktchen, wenig Punkte.
link

 

Frans de Waard | VITAL WEEKLY
The other release is a radio play by composer Hannes Seidl and media artist Daniel Kötter and it’s about ‚the city‘, „What does, what could the city of the future sound like?“ To that end, there are texts, music, interviews and an installation/music theatre piece. Some text is in German and some in English, but much just went by me (me and texts; that’s common to happen). The text is also available in an English translation in the booklet. The music is by Sebastian Berweck, Martin Lorenz, and Andrea Neumann, while Christina Kubisch provided electromagnetic sounds. If I’m honest (and I should be) I quite enjoyed this what it is probably not; or, perhaps, not intended as such, and that is a piece of music. The text I took for granted and the music is quite nice in a sort of electro-acoustic mix of three people improvising their material. With the field recordings used, sounds from the city being re-shaped, children playing or harbour sounds, there is indeed that city-like feeling. Of course, there are many more layers to this piece, which sort of eluded me. I’m sure one day I will get it. For now, I thought this was quite a lovely radiophonic work.
link